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Schmelztiegel Stadion

Fußball heißt im Ruhrpott Identität

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Stell dir vor, es ist Fußball – und keiner geht hin. Leere auf den Zuschauerrängen. Der Wind pfeift über die Tribüne. Eine Plastiktüte flattert über den Betonboden.

Nur leise dringen vereinzelt Rufe und Pfiffe von unten herauf. Von dort nämlich, wo zwei Mal elf Menschen auf dem grünen Rasen erbittert um den Ballbesitz kämpfen. Es steht Null zu Null. Noch eine Minute bis zum Spielende. Der Stürmer hetzt in Richtung Tor. Er dribbelt sich an der Verteidigung vorbei, er müsste schießen, er schießt und – Tor! Tooor!

Auf den Rängen ist es still. Niemand da, der den spektakulären Treffer sieht. Nur zwei Mal elf Menschen auf dem Rasen. Sie sind allein mit sich.

Reinste Ball-Philosophie

Stell dir vor, es ist Fußball – und keiner geht hin. Das ist ein bisschen wie mit dem Baum, der im einsamen Wald umfällt. Wenn keiner den Baum fallen hört – hat es dann überhaupt ein Geräusch gegeben? Genauso: Wenn es keine Fans gibt, die sich für Fußball interessieren – hat ein Spiel dann überhaupt stattgefunden?

Reinste Philosophie. Aber warum nicht? Denn es gibt nur eines, das sinnvoller ist als Fußball: Nachdenken über Fußball. Hat Schriftsteller Martin Walser gesagt. Und wenn man so nachdenkt, kommt man zu der Frage: Was wären die Elf unten auf dem Rasen ohne den zwölften Mann oben auf der Tribüne?

Kein Sport wie Bogenschießen

Ohne Fans wäre der Fußball ganz anders. Er wäre einfach ein Sport. Wie Bogenschießen. Für Millionen Menschen aber ist er viel mehr als das. Er ist ein Lebensgefühl. Wer den Fußball so versteht, der ist Fan. Für ihn bedeutet der Verein alles. Und der Fußball ist nichts ohne Fans.

Wenn es um das Verhältnis zu seinem Club geht, neigt der Fan zum Überschwang. Mit Tränen in den Augen schwört er seinem Club ewige Treue, preist ihn mit Liebesbotschaften, auf die der Partner neidisch wird. Und er verflucht die Gegnermannschaft mit Ausdrücken, die er seinem ärgsten Feind nicht so einfach ins Gesicht schleudern würde – jedenfalls nicht im Leben jenseits des Stadions.

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Noch ein Gedankenexperiment: Stell dir vor, das Ruhrgebiet hätte keinen Fußball. Dann wäre das Revier eine Region mit Brieftauben, Schrebergärten, Herbert Grönemeyer und Currywurst. Eine Region mit unterirdischen Resten der Kohle, die einst so wichtig war. Und oberirdischen Zechentürmen, die jetzt Museen sind. Oder Denkmäler. Oder Schrott.

Mit der Kohle ging ein Stück Identität

Fakt ist: Mit der Kohle ist für viele hier ein Stück Identität verloren gegangen. Seit über 40 Jahren steckt das Revier im Strukturwandel. Wohin er führen wird, weiß niemand so genau. Der Fußball indes ist eine Konstante. Das Ruhrgebiet gehört weltweit zu den Regionen mit den meisten aktiven Fußballern – und den höchsten Zuschauerzahlen in den Stadien. Sechs Vereine spielen in den vier höchsten Ligen, zwei von ihnen in der ersten Bundesliga. Fußballerisch ist der Pott keine Region im Wandel – sondern ein Megastar.

Die Fankultur im Ruhrgebiet schafft Harmonie. Sie kann Menschen vereinen. Menschen, die im Alltag nichts miteinander zu tun haben, fallen sich in die Arme, wenn das richtige Tor fällt. Werden zu Freunden. In der Fußballkneipe. Im Stadion.

Früher Punkmusiker, heute Fanmusik-Schreiber

Wir haben Fans der sechs größten Vereine im Revier getroffen. Jedes Wochenende verbringen sie im Stadion. In Dortmund, Schalke, Bochum, Essen, Duisburg oder Oberhausen. Typen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten: Da ist der Professor, der sogar aus München anreist, um seinen BVB spielen zu sehen. Da ist der Kommunalpolitiker, der in Duisburg einen schwulen Fanclub mitbegründet hat. Und da ist der Musiker aus Essen, der früher mal in einer Punkband war und jetzt Fanlieder für seinen RWE komponiert. Jeder von ihnen fiebert für einen anderen Verein. Und doch nutzen sie alle die gleichen Worte, wenn sie über ihren Verein sprechen: Leidenschaft, Liebe. Als Fans sind sie gleich.

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Wer über Fankultur schreibt, neigt zum Pathos, wie wir bemerken, während wir das hier schreiben. Weil Fan-Sein und Pathos zusammengehören. Warum ist das so? Welche Gefühle treiben Fans an? Was hat Fußball mit Identität und Kultur zu tun? Gibt es Unterschiede zwischen den Fans? Was ist ein Ultra? Passiert da was im Körper eines Fans, wenn er seinen Verein spielen sieht? Etwas, das man messen könnte? So viel sei verraten: Genau das haben wir getestet. Und ja, es passiert in der Tat etwas. Doch dazu später mehr.

Wir haben uns diesen und weiteren Fragen gewidmet und ein Paket aus Filmen, Artikeln, Fotostrecken, Grafiken, Radiosequenzen und Interviews zusammengestellt, das die Fankultur im Ruhrgebiet greifbar macht.

Wie der Fußball ins Ruhrgebiet kam und woher die Rivalität zwischen Schalkern und Dortmundern stammt.